Wenn wir über Innovation sprechen, denken wir in der Regel an Geistesblitze – originelle Ideen Einzelner oder eines hochqualifizierten Teams aus hochqualifizierten Individuen. Wir setzen dabei aber stets das Selbstvertrauen voraus, den Status quo infrage zu stellen und zugunsten etwas Besserem zu überwinden. Diese Definition ist nachvollziehbar, macht jedoch die impliziten Hürden deutlich.
Innovation ist eines der wichtigsten Unterscheidungsmerkmale im Wettbewerb. Daran entscheidet sich, wie sich Unternehmen in dicht besetzten Märkten abheben. Mithilfe von Innovationen stoßen disruptive Marken die großen Player, die den Markt jahrzehntelang angeführt haben, vermeintlich vom Thron. Nahezu jedes Unternehmen legt daher ein öffentliches Bekenntnis zur Innovation ab und behauptet, darin auf die eine oder andere Weise führend zu sein.
In einer nahezu paradoxen Kehrtwende ist das Konzept originellen Denkens und kontinuierlicher Ideenfindung zu einer Grundvoraussetzung für Millionen von Unternehmen geworden. Innovation ist in einem gewissen Maße zur Handelsware verkommen.
Im Inneren der Innovationsfabrik
Viele Unternehmen haben den Wert kontinuierlicher Innovation grundsätzlich erkannt und dedizierte Ressourcen dafür bereitgestellt. Das reicht von kleinen Teams, die bestehende Produkte iterieren, bis hin zu ganzen Geschäftsbereichen, die als Innovationslabore (oder -fabriken) fungieren und einen kontinuierlichen Strom neuer Ideen generieren.
Das Schema hinter der Bildung solcher Teams ist einfach. Um innovativ zu sein, brauchen Menschen Zeit und Raum, um zu denken, zu testen und Ideen zu entwickeln. Daher macht es Sinn, mehr Raum für Innovationen zu schaffen. Wenn kontinuierliche Innovation jedoch zu einem zwingenden Ergebnis wird, das ein Team schnell erbringen muss, ist psychologische Sicherheit der Einzelnen im Team - und des Teams in der gesamten Organisation - die absolute Grundvoraussetzung.
Ohne es zu beabsichtigen, können Unternehmen eine enorme Angst begünstigen, zu scheitern. Sie schaffen Bedingungen, unter denen Teams beim Validieren von Annahmen und beim Testen von Lösungen Abstriche machen, um den Output zu beschleunigen. Die Folge ist oft eine schleichende Abkopplung der Teams von den Produkten, Prozessen oder Kund:innen, für die sie doch eigentlich Innovationen entwickeln wollen. Und plötzlich ist das Team, das Sie zusammengestellt haben, um Innovationen voranzutreiben, mit Problemen beschäftigt, welche den eigentlich Innovationsprozess einschränken. Das wiederum wirkt sich negativ auf den Wertschöpfungsbeitrag des Teams aus - ein sich selbst verstärkender negativer Kreislauf entsteht.
Neuausrichtung auf die Grundsätze echter Innovation
Um zu erkennen, wo Innovation auf Kosten der psychologischen Sicherheit geht, sollten sich Unternehmen und Produktverantwortliche daher auf einige Grundsätze fokussieren:
- Innovation basiert auf aktuellen Erkenntnissen, die von den Menschen, die hinter der Innovation stehen, direkt erlebt werden müssen. Sind Teams von den Bedingungen, die sie zu ändern suchen, isoliert – z.B. weil sie nicht mit Kund:innen interagieren können oder nicht wissen, wie sich Kundentrends verändern – werden sie keine wertvollen Ideen generieren.
- Ideen für Innovationen müssen gründlich getestet werden, um zu ermitteln, ob sie den beabsichtigten Nutzen liefern. Ohne diese Tests können sich selbst die besten Ideen beim späteren Produktiveinsatz negativ auf das Unternehmen auswirken.
- Die meisten Innovation sind iterativ, d.h. sie erfolgen durch kleine, feine und gezielte Verbesserungen, nicht durch explosionsartige Veränderungen. Damit Teams dies tun können, müssen sie in der Lage sein, die Auswirkungen ihrer früheren Ideen und Iterationen zu beobachten und daraus zu lernen.
- Innovation entsteht daher dort, wo es keine Angst vor dem Scheitern gibt. Testen, und Lernen ist eine Voraussetzung für iterative Innovation – und keineswegs etwas, das vermieden werden sollte.
- Wertvolle Ideen können überall entstehen, nicht nur in speziellen Innovations- oder Entwicklungsteams. Jede Stimme muss gehört werden, und alle Mitarbeiter:innen sollten ermutigt werden, ihre Ideen frei zu äußern.
Diese Voraussetzungen für Innovation zeigen, was getan werden kann, um die psychologische Sicherheit der Mitarbeiter.innen zu gewährleisten, die Innovationen schaffen sollen.
Innovator:innen müssen in einem Umfeld arbeiten können, das zum Lernen ermutigt und Risiko als Notwendigkeit begreift. Sie sollten Kund:innen beobachten und mit ihnen direkt interagieren können, anstelle sich bei ihren Entscheidungen allein auf Annahmen zu verlassen. Sie brauchen die Zeit und die Möglichkeiten, ihre Ideen ausgiebig zu testen und bei Bedarf zu verbessern. Und sie müssen die Auswirkungen in der Praxis sehen, um einen kontinuierlichen Fluss von iterativen Verbesserungen zu schaffen.
Psychologische Sicherheit geht Innovation voraus
Um der Komplexität von Märkten mit Innovation zu begegnen, ist Vertrauen in die Ergebnisse derjenigen Mitarbeiter:innen wichtig, die für innovative Ideen verantwortlich sind. Um die psychologische Sicherheit in Teams zu gewährleisten, müssen Führungskräfte sich bewusst entscheiden, ihren Teams die Möglichkeit zu geben, zu scheitern, zu experimentieren, zu lernen und Fragen zu stellen. Beurteilungen und Incentivierungen sollten dem nicht widersprechen. Damit erweisen sie nicht nur Mitarbeiter:innen einen Gefallen – es liegt auch im Interesse des Unternehmens.
Ein Team, das unter psychologisch sicheren Bedingungen arbeitet, kann bessere Ideen hervorbringen, relevantere Konzepte entwickeln und zuverlässig validieren. Nur so entsteht eine Innovationspipeline, die sich positiv bestärkt.
Hinweis: Die in diesem Artikel geäußerten Aussagen und Meinungen sind die der Autor:innen und spiegeln nicht zwingend die Position von Thoughtworks wider.
